Zivilisation schmiegt sich immer in eine Landschaft ein. Flusstäler haben vermutlich überall den Anfang gemacht. Bauwerke – ob Hütten oder Tempel – steckten dann die Dimensionen des menschlichen Lebens ab.
Aus Herodots Historien
„Ihr Gebiet ist nämlich grasreich und wohlbewässert, und Flüsse durchziehen es, die an Zahl gar nicht viel ärmer sind als die Kanäle der Ägypter. Ich will nur die nennen, die Namen haben und vom [Schwarzen] Meer aus befahrbar sind…“
Historien, IV 541
Er nennt als ersten den Istros (Donau) mit fünf Mündungsarmen, weiter den Hypanis (Kuban) und insbesondere den Borysthenes (Dnieper):
„Meiner Ansicht nach ist er der ergiebigste, nicht nur von den skythischen Flüssen, sondern auch von allen anderen, weil er die schönsten und für das Vieh gesündesten Weideflächen bewässert. An seiner Mündung setzt sich von selbst reichlich Salz ab. Er liefert große Flussfische ohne Gräten zum Einsalzen, die man Antakaien nennt, und hat noch viele andere wunderbare Vorzüge“.
Historien, IV 541
In Herodots Historien ist ein wichtiger Gesichtspunkt die Wirtschaftlichkeit, da er seine Reisen nicht aus touristischer Neugier macht, sondern Länder und ihre Bewohner als Geograf in der Wechselbeziehung von Mensch und Natur beschreibt und Mythologisches eher skeptisch aufnimmt:
„Der erste Mensch in diesem noch öden Lande hieß Targitaos. Die Eltern dieses Targitaos waren Zeus und eine Tochter des Stromes Borysthenes. So berichten die Skythen; aber glauben kann ich es nicht.“
Historien, IV 537
Dennoch ist es nicht obsolet, auf die Wahrnehmung der Welt als Spielfeld von Göttern und Natur hinzuweisen. Dass die rationale Erschließung des Kosmos an die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit stößt, ist sogar für die moderne Physik ein Problem.
Die Skythen
Bewohnt wurden die Landstriche von den Skythen, die in Herodots Historien beschrieben werden. Er zitiert ihre Abstammungs-Sagen und wendet sich dann der Gegenwart (5. Jhdt v. Chr) zu. Er geht von einem „Handelsplatz Borysthenes“ aus, der in der Mitte des an das Schwarze Meer grenzenden skythischen Gebietes liegt.
Die antike Landkarte zeigt diese Stadt neben Olbia als griechische Kolonie, bewohnt von Skythen, deren Lebensweise er folgendermaßen schildert:
„Sie säen Getreide und essen die Frucht, dazu Zwiebeln, Knoblauch, Linsen und Hirse. Daneben gibt es noch die Ackerbau treibenden Skythen, die Getreide nicht zur eigenen Ernährung, sondern zum Verkauf säen…“ Die Ackerbauskythen bewohnen ein Gebiet, das sich drei Tage weit nach Osten hinzieht… Nach Norden aber geht die Fahrt den Borysthenes hinauf elf Tage lang durch ihr Gebiet. Das Land nördlich davon ist weithin leer.“
Historien, IV 541
Wenn die Ukrainer Abkömmlinge der Skythen sind, dann haben sie sich – Herodots Historien zufolge – am Unterlauf des Dnjeper in der Region der ertragreichen Flüsse als friedlich ihre Äcker bestellende Stämme fortgepflanzt. Doch es gab auch die anderen, die haben den Ruf dieser Völker als unvorstellbar grausame Reiterhorden geprägt. Dass sie Nomaden waren, hält Herodot für den Grund ihrer Unbesiegbarkeit:
„Das skythische Volk hat innerhalb des menschlichen Bereichs, soweit wir wissen, aufs schlaueste einen ganz bedeutenden Vorteil entdeckt, obgleich ich es im übrigen nicht bewundere. Der große Vorteil besteht darin, dass ihnen niemand entrinnen kann, der gegen sie zieht, und dass keiner sie fassen kann, wenn sie sich nicht auffinden lassen wollen. Leute, die weder Städte noch Mauern gegründet haben, die ihre Wohnstätten mit sich führen und sämtlich Bogenschützen zu Pferde sind, die nicht vom Ackerbau, sondern von der Viehzucht leben und deren Heim auf Rädern ruht – wie sollte ein solches Volk nicht unbezwingbar und schwer zu stellen sein, wenn ihr Land dafür geeignet war und die Flüsse ebenfalls dazu halfen.“
IV. 537